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Finca

Im Jahr 2008 kauften Rafael Jiménez und Peter Reimer im Norden von Hatillo ein grosses Stück bewaldetes Land. 

 

Hatillo ist zwar nicht weit weg von Haina, aber in vielerlei Hinsicht recht anders. Hier gibt es keine Slums, Autobahnen und Fabrikanlagen. Die Misere verbirgt sich hinter einer üppigen, stellenweise traumhaften Natur.

Ein Stück Land - wozu?

 

Rafael erinnert sich: «Wir verbrachten viele Wochenenden auf der Finca im Schatten der Bäume und dachten in Ruhe nach, wozu ein solches Stück Land gut sein könnte. In Ruhe? Die währte nicht lange. Bei jedem Aufenthalt waren wir von mehr Kindern und Jugendlichen umgeben, die auf unserem Grundstück mit uns essen und spielen wollten. Schliesslich haben wir begriffen, wozu das Stück Land dienen würde.»

Zurzeit ist die Finca – so heisst der Ort heute – für eine wachsende Zahl von jungen Menschen sozialer und emotionaler Mittelpunkt, ein echtes Zuhause geworden.

An jedem Tag der Woche, auch sonntags, sind 40–60 Kinder und Jugendliche im Alter von vier bis 18 Jahren auf der Finca. Am berühmten campamento, dem Sommerlager im Juli, nehmen bis zu 100 junge Menschen und 20 Helferinnen und Helfer teil. 

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Was läuft auf der Finca?

Die Unbezahlten

Die meisten Leute auf dem Land verdienen sich ein wenig Geld als Haushilfen in der Hauptstadt oder auf dem Bauplatz. Der Verdienst reicht zum Überleben, denn das Leben in der Dominikanischen Republik ist verhältnismässig teuer und verteuert sich ständig. Als besonders ungerecht wird empfunden, dass der Staat die Steuern vor allem beim Kauf von Grundnahrungsmitteln abschöpft. Von diesen Leuten ist kein finanzieller Beitrag an die Arbeit auf der Finca zu erwarten. Was sie können, das tun sie: sie leisten eine Menge Freiwilligenarbeit. Vor allem im Sommerlager mit seinen über 100 Kindern arbeiten viele Männer und Frauen unentgeltlich mit.

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Die Ärztinnen

Vier Ärzte und Ärztinnen verbringen zwei Wochenenden im Jahr auf der Finca und untersuchten unsere Kinder – und auf Wunsch auch ihre Eltern. Sie tun es umsonst. Die meisten Diagnosen stellen Zahn-, Augen- und Gebärmuttererkrankungen fest. Der Spitzenreiter ist die Unterernährung. Wenn möglich übernehmen die Ärztinnen auch die Therapie. Mit sechs Operationen konnte zum Beispiel die Zahnärztin die Zähne von Alfredo, unserem Angestellten, retten. Alles gratis.  

Das Ärzteteam betrachtet seinen Einsatz als Beitrag an unsere Arbeit. 

Die Lehrerinnen

Magdelín und Cinthia wollen Primarlehrerinnen werden. Die Ausbildung zur Lehrperson ist in der Dominikanischen Republik nicht so anspruchsvoll wie etwa in der Schweiz. Man besucht zwei Jahre lang Wochenend-Kurse, und bei bestandener Schlussprüfung kann das Berufsleben beginnen. In ihrer Freizeit arbeiten die beiden Frauen auf der Finca. Das heisst, sie können von Montag bis Freitag jeden Morgen bei den Kindern auf der Finca sein. Sie beanspruchen für ihre Arbeit keine Bezahlung, sind aber froh, dass wir ihre Transportkosten übernehmen: CHF 1.80 pro Person und Tag.

 

Magdelín und Cinthia kennen die Finca von früher. Sie waren unter den ersten Kindern, die vor Jahren auf die Finca kamen. Jetzt sind sie zurückgekehrt.

 

Die dritte Frau, Lidenice, ist aus Puerto Plata. Sie hat nach Hatillo geheiratet und studiert in Santo Domingo Entwicklungspsychologie. Sie möchte in der Freizeit auf der Finca mitarbeiten. Eines Tages steht sie vor der Tür und stellte sich vor, einfach so. Die Transportkosten können wir uns sparen. Sie hat einen Töff.

 

Dass sich drei Lehrerinnen und vier Ärztinnen und Ärzte und viele mehr unentgeltlich in die Arbeit auf der Finca einbringen, das sind nicht nur nette Gesten. Es sind Zeichen dafür, dass die dominikanische Bevölkerung den Fatalismus langsam hinter sich lässt und begreift, dass man sich selber und einander helfen kann und muss, um aus der Misere heraus zu kommen. Auch daran arbeiten wir auf der Finca und verbuchen das als grossen Erfolg, der uns hoffen lässt.

Das Personal

 

Auf der Finca arbeiten zwei Festangestellte: Lucía und Alfredo.

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Lucía, bekannt als Lice, wird auf der Finca und weit herum wahrgenommen als der gute Geist, der das Ganze mit Herzlichkeit und Güte belebt.

Ihr Arbeitstag sieht in den Grundzügen so aus: 

Morgens um sieben fährt sie mit einem Töff auf die Finca, bereitet das Mittagessen für 50–70 Leute vor, anschliessend hilft sie in den Gruppen mit beim Lesen, Schreiben, Basteln, Jäten, Pflanzen, Ernten… Nach dem Mittagessen organisiert und überwacht sie das Abwaschen und Aufräumen. Um vier Uhr schickt sie die letzten Kinder heim, damit sie mit den Mitarbeiterinnen den nächsten Arbeitstag vorbereiten kann. Um sechs Uhr abends fährt sie nach Hause. Dort warten oft schon ein paar Kinder vor der Türe, die noch irgendwas von ihr wollen. So läuft es von Montag bis Donnerstag. Am Freitag durchwandert sie die Gegend und besucht in den weit verstreuten Häuschen die Eltern der Finca-Kinder. Samstag ist im Prinzip ihr Frei-Tag, nur – sie bereitet das Gelände und das Essen vor für den Unterricht der 16–18-Jährigen. Am Abend räumt sie auf. Auch am Sonntag hat sie – im Prinzip – frei, nur dass sie sich kümmern muss um das ganze Drum und Dran der Taek-wan-do-Kurse, die am Sonntag von 11–14 Uhr stattfinden.

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Alfredo wohnt und lebt auf der Finca. Sie ist sein Leben. Und für die Finca ist er das Faktotum. Er ist unermüdlich dabei, das Gelände in einen herrlichen Garten zu verwandeln. Er pflanzt Gemüse an, sorgt für die Hühner und Geissen und baut an seinem Fischweiher weiter. Wenn nötig, holt man ihn in die Küche. Eben einer, der alles kann und macht. Er ist schlicht nicht wegzudenken.

Was bringt der ganze Einsatz für die Jugend?

Die Jugend von Hatillo wächst auf ohne Zuwendung und Anregung. Man hängt ab vor dem Fernseher oder lungert in Gruppen und Banden auf den Gassen herum. Die Angebote, die sie dort erwarten, sind nicht wirklich erbaulich: Drogenhandel, Töfflirennen auf der Autobahn, dubiose Kurrierdienste. Wer dort hineingerät, ist auf der sehr schiefen Bahn. Auf der Finca wird diesen Kindern und Jugendlichen jedenfalls etwas Besseres angeboten, und viele machen davon Gebrauch.

Wir knacken den Familien-Ungeist

In der Dominikanischen Republik ist die Grossfamilie, der Klan, das Grunddatum der Gesellschaft. Sie hat oft mafiose Strukturen. Der sympathische, intelligente Finca-Nachbar hat es auf den Punkt gebracht: «Ihr macht eine tolle Arbeit. Die Kinder kommen anders aus der Finca heraus, als sie hineingegangen sind. Aber was ich nicht verstehe – warum macht ihr das alles? Die gehören ja nicht zu eurer Familie.» Und wir meinen: es gibt noch etwas jenseits der Klan-Grenze. Um zu einer solidarischen Gesellschaft heranzureifen, genügt es nicht, im Privat-Kollegium der Hauptstadt jeden Tag die Nationalhymne zu singen. Dazu braucht es mehr. Zum Beispiel das, was wir auf der Finca tun.

Für die Mädchen ist es besonders wichtig

 

Warum drängen wohl so viele Mädchen in unsere Taek-wan-do-Kurse? Aus Freude am Kämpfen? Vielleicht auch. Die meisten sind es einfach satt, sich prügeln zu lassen, weil es so Brauch ist, oder die göttliche Ordnung es so vorsieht. Sie lernen bei uns umzudenken: eine Frau hat den gleichen Wert und die gleichen Rechte wie ein Mann.

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